EINE AUSSERGEWÖHNLICHE TOUR

Ein Reisebericht von Hannes Genze

„ZUM 40. GEBURTSTAG HATTE SICH ANDI (KUGLER), EBENFALLS EHEMALIGER PROFI-RADFAHRER UND MEIN MARATHON PARTNER VON 2009 BIS 2012, EINE „AUSSERGEWÖHNLICHE“ TOUR GEWÜNSCHT. GESAGT, GETAN! DREI TAGE MIT DEM MOUNTAINBIKE DURCH DAS MONTE ROSA MASSIV WAREN DIE FRUCHT MEINER RECHERCHE UND BRIGERBAD START UND ZIEL MEINES GEBURTSTAGSGESCHENKS. NACH DEN GEMEINSAMEN ERLEBNISSEN BEI DER TRANSALP UND DEM CAPE EPIC IN SÜDAFRIKA, EIN NEUES GEMEINSAMES ABENTEUER.“

– HANNES GENZE  LEITER ENTWICKLUNG CENTURION


 

TAG 1

Es ist Freitag und wir starten um 8:30 Uhr in Saas-Grund, wohin uns der Postbus aus Brigerbad gebracht hat. Um die noch müden Knochen bereits ein wenig in Schwung zu bringen, haben wir uns entschieden hier auszusteigen und auf Asphalt bis zum Monte Moro Stausee zu pedalieren. Kurz nach dem Stausee beginnt der Wanderweg. An Fahren ist jetzt nicht mehr zu denken. Der schmale Pfad ist selbst für geübte Mountainbiker zu eng und zu verblockt. Kurzer Schuhwechsel auf leichte Turnschuhe, um möglichst bequem zum Pass laufen zu können. Trotz einiger fahrbarer Passagen dauerte der Aufstieg zum Passo Monte Moro knapp eine Stunde. Der gigantische Blick auf die 2.000 m vertikal in den Himmel ragende Ostwand des Monte Rosa entlohnte für sämtliche Mühen.

Wir halten inne und genießen das Panorama, ehe wir unsere Abfahrt nach Macugnaga beginnen. Steil, rutschig, verblockt und teilweise nicht fahrbar stellt die sich uns störrisch in den Weg. Einmal bleibe ich beim Anfahren mit dem Vorderrad zwischen zwei dicken Steinen hängen und gehe über den Lenker. Ergebnis: Ein abgeschürftes Knie, ein Loch im Schienbein und ein beschädigter Helm. Die Pizza auf dem Marktplatz von Macugnaga lässt uns das Schreckerlebnis schnell vergessen. Durch das Val Quarazza geht es weiter zum Passo Turlo. Zu Beginn noch recht flach, müssen wir am Wanderweg angekommen erneut das Schuhwerk wechseln. 

Gewohntes Spiel. Auf ca. 2.100 m erreichen wir den unglaublich beeindruckenden und mit extremer Mühe gebauten alten Walserweg, der mit mächtigen Steinplatten über Geröllfelder und Grashänge nach oben führt. Ab hier können wir, zumindest im kleinsten Gang, den Großteil der Strecke fahrend bewältigen. Wanderer treffen wir kaum. Leider gibt es hier auch keine Hütten in denen wir unsere Getränkeflaschen auffüllen können. Die 1,5l pro Kopf müssen reichen. Glücklicherweise zeigt sich der Horizont etwas bewölkt. Ziemlich einsam dieser Übergang. Nur ein paar Steinböcke kreuzen unseren Weg, kurz bevor wir den Pass erreichen. Auf dieser Höhe lässt sich kaum noch Vegetation finden. Schutt- und Steinfelder dominieren die Szenerie. Der Ausblick in die Ferne ist atemberaubend.

Die zweite Abfahrt des Tages gestaltet sich wesentlich einfacher als die erste, auch wenn sich Andi an einer Wasserrinne einen Platten, und etwa zehn Minuten später den zweiten einfängt. Hätten wir nur beim ersten Mal ordentlich aufgepumpt! Nach knapp 50 km und 2.600 hm erreichen wir um 17:45 Uhr Alagna. Heute ist uns nicht mehr nach Wellness zumute. Stattdessen versorge ich meine Wunden und Andi begibt sich auf die Suche nach Ersatzschläuchen; leider vergebens. Die Nacht bringt Regen. Keine rosigen Aussichten für die zweite Etappe und eine Passüberquerung auf 2.800 m.

TAG 2

Da es beim Frühstück noch immer regnet, gehen wir es beim Morgenkaffee gemütlich an. Um 8:20 Uhr schwingen wir uns dann doch auf die Bikes und starten in den Tag. Bereits nach 50 m beginnt es steil zu werden: 15% bis 20% Steigung fordern die noch kalten Beine. Nach ca. 800 Höhenmetern endet der Schotterweg und wir sind wieder gezwungen per pedes den kaum genutzten, zugewachsenen Weg weiter zu gehen. Die meisten Wanderer nehmen hier die Bahn nach oben. Wolken umringen uns mittlerweile. Nahezu keine Sicht. Schritt für Schritt mühen wir uns die 2.880 m auf den Col’d Olen. Auf der anderen Seite des Passes reißt die dicke Wolkendecke immer weiter auf und gibt uns den Blick auf ein atemberaubendes Bergpanorama frei.

Wir gehen die nächste Abfahrt an, die eine Mischung aus alpinem Steig, Schotterpiste und Wiesenweg ist. In Gressoney machen wir Rast und verdrücken ein – wohlverdientes – Panini. Für die kommenden 900 hm gilt: schnell genug fahren, damit wir nicht umfallen! Immer wieder bestaunen wir die gigantischen Gletscher des Monte Rosa. Hinter dem Bettaforca geht es auf Schotter schnell bergab. Auch hier stellte sich der Wanderweg zuerst als unfahrbar heraus. Mit höchster Konzentration und als Rütteltest für unsere Räder wagen wir es dann doch. Alles geht gut. Mit Crepes und Cappuccino füllen wir die Speicher in Saint Jaque wieder auf. Der dritte Anstieg führt zunächst mit angenehmer Steigung bis auf eine Höhe von 2.500 m. Zu Fuß geht es dann noch eine halbe Stunde zum Col de Nannaz. Hier wird es grandios: Tolle Wege und ein breites Grinsen auf unseren Gesichtern. Ab und an legen die Wolken sogar das Matterhorn frei. Von Valtournenche sind es noch 400 hm bis nach Breuil Cervinia. Der extrem leckere Schokokuchen auf der Hälfte der Strecke gibt uns den erhofften Energieschub. Um kurz vor 19 Uhr erreichen wir nach 4.100 hm und gut 50 km das Hotel Grivola, unsere Bleibe für die heutige Nacht. Auch wenn Breuil Cervinia deutlich nobler als die bisherigen Ortschaften ist, lassen wir uns die Pizza ganz leger in kurzen Hosen schmecken.

TAG 3

Beim Frühstück am nächsten Tag erwartet uns ein wolkenloser Himmel. Das Wetter wiegt uns in Sicherheit. Wir nehmen uns Zeit auf dem Weg nach Zermatt, genießen die Aussicht und zuckerhaltige Getränke. Je näher wir dem Theodulpass kommen, ziehen jedoch mehr und mehr Wolken auf. Wir durchqueren riesige Schutthalten und erklimmen mit vollem Einsatz extrem steile Anstiege. Der Sauerstoffmangel in dieser Höhe ist deutlich zu spüren. Auch die Temperaturen sinken je höher wir kommen. Auf 3.300 m hat uns die Kälte dann fest im Griff. Wir ziehen uns zügig warm an und beginnen – wieder in Turnschuhen – den heiklen Abstieg zum Gletscher. Zum Glück fegt der Wind die dichten Wolken ab und an zur Seite, damit wir unseren Pfad einigermaßen zielsicher finden. Vom Sommerskigebiet ist hier nur noch der Schlepplift übrig. Eis und Schmelzwasser dominieren die Szenerie. Wir fahren die 300 hm zum Trockenen Steg hinab, lassen die anderen Besucher mit Steigeisen und Pickel hinter uns und gönnen uns ein Mittagessen. 

Nach der Rast erwartet uns das Trail-Highlight unserer Tour: Höchstwertung in Sachen Flow, technischem Anspruch und Aussicht! Hinter Zermatt folgen wir dem Bachlauf aus dem Tal. Wir liegen nach 1.300 hm gut in der Zeit und stechen rechts nach Sankt Nikolaus hinauf in Richtung Grächen, um den Schlussanstieg der diesjährigen Marathon WM zu inspizieren. Uns offenbart sich ein beeindruckender Blick auf die Gletschermassen der Mischabelgruppe sowie den imposanten Gipfel des Weißhorns. Wir folgen herrlich rollenden Pfaden entlang beschaulicher Wasserläufe, den sogenannten Suonen. Ein abschließender Switchbackdownhill führt uns über eine schöne Schleife wieder zurück ins Mattertal. Wir folgen alten, zum Teil wieder mit extremer Mühe in den Fels geschlagenen Wegen über Visp zurück nach Brigerbad. Am Ende zeigt der „Tacho“ 75 km und 2.200 hm an. Als wir uns am Dorfbrunnen erfrischen, lassen wir die eindrücklichen und faszinierenden Bilder der vergangenen drei Tage Revue passieren.